Medienmitteilung Contact Tracing App
Medienmitteilung: Forderungen an Wissenschaft und Politik bezüglich des Einsatzes einer Contact Tracing App
Eine Contact Tracing App bringt den Nutzenden zurzeit nicht viel. In Einzelfällen könnten sie früher über eine mögliche Infektion informiert werden, als dies mit anderen Methoden derzeit sinnvoll umsetzbar wäre. Der wirkliche Vorteil einer Contact Tracing App zeigt sich erst nach der Erfassung und Verarbeitung möglichst grosser Datenmengen. Mithilfe dieser kann die Genauigkeit und die Qualität einer solchen Technologie ständig verbessert werden und so langfristig einen wesentlich höheren Nutzen für Einzelpersonen bringen.
Grundsätzlich ist es für die Forschung eine einmalige Chance, Daten zu erheben, um sicherzustellen, dass unsere Gesellschaft und künftige Generationen die Möglichkeit haben, pandemische Situationen in Zukunft besser, gezielter und mit weniger Einschränkungen zu handhaben. Je mehr Daten die Forschung jetzt erfassen kann, umso aussagekräftiger sind die daraus resultierenden Modelle und Berechnungen. Die Bekämpfung einer Pandemie ist auf möglichst aussagekräftige Vorhersagen angewiesen. Damit diese möglichst zutreffend sind, braucht es enorme Mengen an Daten, welche nicht im Nachhinein erhoben werden können. Bereits jetzt fehlen der Forschung umfangreiche Daten vom Anfang der Pandemie. Je früher und je mehr Daten jetzt der Forschung zur Verfügung gestellt werden können, desto besser.
Dafür ist es unerlässlich, dass die ethischen Grundsätze der Wissenschaft, wie Datenschutz, Freiwilligkeit der Beteiligung und eine Gewähr, dass durch die Beteiligung oder nicht-Beteiligung keinerlei Nachteile oder Vorteile entstehen, weiterhin gewährleistet bleiben. Daraus resultieren unsere Forderungen:
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Es braucht eine gesellschaftliche und existenzielle Absicherung für Personen, die positiv getestet werden und dies angeben, sowie allgemein für Personen, die ihre Daten der Forschung zur Verfügung stellen. Es dürfen keinerlei Nachteile durch eine Beteiligung entstehen. Dies beinhaltet, dass entsprechende Daten nicht durch z.B. Strafverfolgungsbehörden, Migrationsämter oder Versicherungen verwendet werden dürfen. Auch muss gewährleistet sein, dass niemandem ein Nachteil durch nicht-Beteiligung oder nicht-Freigabe von Daten entsteht, wie z.B. Verlust der Arbeitsstelle oder Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
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Erfasste Daten sollen möglichst nur in aufgearbeiteter und anonymisierter Form gespeichert und weiterverwendet werden. Im besten Fall werden die Rohdaten direkt nach der ausreichend verschlüsselten Übertragung durch einen Algorithmus verarbeitet, wobei ausschliesslich die aufbereiteten Daten abgespeichert werden. Sollte eine kurzfristige Speicherung der Rohdaten unumgänglich sein, so sind diese schnellstmöglich aufzuarbeiten und anschliessend direkt wieder zu löschen.
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Jegliche Datenweitergabe muss Opt-In sein. Sprich, die Nutzenden müssen von sich aus aktiv anwählen, ob und in welchem Ausmass Daten unter welchen Umständen weitergegeben werden dürfen. Ohne diese Freigabe dürfen auch lokal keine zusätzlichen Daten erfasst werden. Es darf keine Verpflichtung geben, dass ein positives Testresultat kommuniziert wird. Die Nutzenden müssen ihre Einstellung zur Freigabe von Daten jederzeit niederschwellig in der App anpassen können und sollen insbesondere bei Freigabe durch Angabe einer positiv-Testung nochmals angezeigt, gegebenfalls angepasst und bestätigt werden. Es soll in den Optionen eine Unterscheidung geben, welche Daten generell erfasst oder weitergegeben werden dürfen, welche Daten nur im Falle einer Meldung eines positiven Testresultats durch die Person selbst freigegeben werden dürfen und welche Daten in keinem Fall erfasst oder weitergegeben werden dürfen. Solange keine Freigabe durch die Nutzenden vorliegt, hat die Installation keine Informationen weiterzugeben. So können die Nutzenden autonom und selbstbestimmt entscheiden, ob sie z.B. ihre Kontakt-History, Standort-Daten, Vorratsdaten, demografischen Angaben oder allgemeine Antworten zu Fragen bezüglichen des eigenen Lebenswandels erfasst haben möchten und unter welchen Umständen diese Daten der Forschung zur Verfügung gestellt werden dürfen.
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Die eingesetzte App selbst sowie auch die Algorithmen und Transportverschlüsselungen müssen Open Source sein, zudem muss transparent kommuniziert werden, welche Verfahren zur Anwendung kommen. Nur so können Nutzende mit entsprechendem Fachwissen einschätzen, ob sie unter diesen Umständen bereit sind, ihre Daten zur Verfügung zu stellen. Dies ist für eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung unerlässlich.
Zitate
«Es dürfen keinerlei Nachteile durch eine Beteiligung entstehen. Ebensowenig darf es eine Benachteiligung geben wenn eine Person sich nicht Beteiligen oder ihre Daten nicht zur Verfügung stellen möchte. Die Daten dürfen ausschliesslich für die Forschung und Statistik im Zusammenhang mit der Sars-CoV-2-Pandemie verwendet werden. Missbrauch durch Behörden oder Unternehmen ist vorzubeugen, konsequent zu verfolgen und zu belangen»
fordert Kay Schneider, Mitglied vom Chaostreff Bern
«Die Nutzenden sollen sich bewusst für die Verwendung einer solchen App entscheiden können, darum ist eine Integration in bereits bestehende Apps nicht tragbar. Es braucht eine transparente Kommunikation über verwendete Technologien und Verfahren, damit eine informierte Entscheidung möglich ist»
sagt Kay Schneider, Mitglied vom Chaostreff Bern
«Die ethischen Grundsätze der Wissenschaft müssen weiterhin gewährleistet bleiben. Die Nutzenden müssen jederzeit in der Lage sein informiert und selbstbestimmt zu entscheiden welche Daten erfasst und unter welchen Umständen sie weitergegeben werden»
erklärt Petra Müller, Mitglied vom Chaostreff Bern
«Die Datenhoheit der Nutzenden sowie die Integrität ihrer Infrastruktur ist kompromisslos zu achten. Die Quelloffenheit der Implementierung muss sichergestellt werden und die Kompatibilität mit freier Software und offener/gerooteter Hardware darf in keinster Weise eingeschränkt werden.»
Christian «Aziroshin» Knuchel, Mitglied vom Chaostreff Bern
Über uns
Der Chaostreff Bern setzt sich in politischer und technischer Hinsicht mit den Chancen und Gefahren datenverarbeitender Technologien auseinander. Der 2016 gegründete Verein setzt sich für das Menschenrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein und propagiert den schöpferischen und verantwortungsbewussten Umgang mit Technologie. Der Verein ist parteipolitisch und konfessionell neutral.
Hinweis: Wir sprechen nur und ausschliesslich für den Chaostreff Bern. Aus dieser Mitteilung sind keine Rückschlüsse über Meinungen und Forderungen von verwandten Organisationen oder Dachverbänden möglich. Anfragen zu deren Meinungen und Forderungen sind direkt an diese zu richten.
Für weiterführende Fragen: Kay Schneider und Christian «Aziroshin» Knuchel, info <ät> chaostreffbern.ch